Lebenschronik 1845 - 1849

Wien 1845 - 1849

4. November 1845

Ankunft in Wien.

Ich glaube nicht, daß hier etwas für mich zu hoffen ist und bitte Dich sehr, Dich keinen Erwartungen hinzugeben; ich komme nach Deutschland mit der festen Ueberzeugung zurück, daß ich die literarische Schlacht verloren habe, verloren an Lumpe, nicht an Götter, aber nichtsdestoweniger verloren.

(An Elise, 9. November 1845, WAB 1, 739)

Trotzdem besucht Hebbel in den ersten Tagen seines Aufenthaltes die literarischen Zelebritäten von Wien, Johann Ludwig Deinhardtstein, Bücherzensor und Herausgeber der „Jahrbücher für Literatur“, Friedrich Halm, Dramatiker und Bibliothekar, und vor allem Franz Grillparzer (1791–1872), den großen Wiener Vormärzdramatiker, der seit zehn Jahren in einer selbstgewählten Isolation als Dichter im Ruhestand lebt. Hebbel hört von allen freundliche Worte, merkt aber rasch, daß er Taten nicht zu erwarten hat und ist bereit, wieder abzureisen.

Vgl. Roland Edighoffer: Hebbel und Grillparzer, Versuch einer vergleichenden Würdigung. In: HJb 1949/50, 60–81.


 

6. Dezember 1845

Schon auf dem Weg, sich einen Platz in der Postkutsche zu besorgen, wird er von zwei Baronen aus Galizien, Wilhelm und Julius Zerboni di Sposetti, eingeladen und auf eine Weise empfangen, die sogar dem selbstbewußten Hebbel peinlich ist:

Von einem solchen Enthusiasmus hatte ich noch keine Vorstellung gehabt, und es waren nicht junge Leute, sondern Männer, die dem Greise näher standen, als dem Jüngling. (...) Dann gab’s eine wilde Nacht, kostbares Essen, Fasane und Rebhühner, Champagner, Toaste, auf den Knieen vor mir ausgebracht, und, weil dritte Personen hinzu kamen, fortwährendes leidenschaftliches Recitiren und Interpretieren der Judith und der Genoveva. Ich konnte der Sache keinen Einhalt thun, so wenig durch den Ernst, als durch Spaß; ich mußte mich daher benehmen, als ob ich meine eigne Bildsäule wäre, d. h. stillschweigen. Doch würzte ich mir die für mein Gefühl viel zu übertriebene, wenn auch wohl gemeinte Situation durch Torte-Essen und Weintrinken. Auch die Nacht mußte ich dableiben, mein kostbares Leben durfte der Gefahr einer Erkältung nicht ausgesetzt werden und ich schlief unter Damastenen Decken mit goldenen Fransen. Mir war, als ob mir ein Märchen passirte, halb ungereimt, halb tiefsinnig, aber im Ganzen angenehm. Diese Herren sind seitdem in ihrem Eifer nicht erkaltet, sondern sie thun für mich, was sie mir nur an den Augen absehen können und das ist ein noch größeres Wunder, als das erste.

(An Elise, 6. Dezember 1845, WAB 1, 744)

Gleichzeitig erscheint der erste von mehreren Artikeln von Sigmund Engländer über Friedrich Hebbel (wiederabgedruckt in: Hebbel-Kalender für 1905. Berlin 1904, S. 173–197). Engländer (1820–1902) wird bis 1848 Hebbels engster Freund in Wien bleiben; nach der Revolution muß er, der zur äußersten Linken gehört und heute unter die Frühsozialisten gerechnet wird, ins Exil gehen. 1862 begegnet Hebbel ihm in London wieder.

Vgl. Wolfgang Häusler: Sigmund Engländer – Kritiker des Vormärz, Satiriker der Wiener Revolution und Freund Friedrich Hebbels. In: Walter Grab, Julius H. Schoeps (Hg.): Juden im Vormärz und in der Revolution von 1848. Stuttgart, Bonn 1983, S. 83–137. – Ders.: „Der einzige Mensch in Wien, mit dem ich umgehe“. Sigmund Engländer – Weggefährte und Antipode Friedrich Hebbels. In: HSR 5. Wien 1995, 91–115.

Unter den Personen, die Hebbel in den ersten Wochen seines Aufenthaltes besucht, gehört auch die Burgschauspielerin Christine Enghaus (9. 2. 1815–30. 6. 1910; das Geburtsjahr 1817, das sich in vielen Nachschlagewerken findet, ist falsch), die sich schon in ihrer Zeit am Hamburger Stadttheater (bis 1840) an der Judith interessiert gezeigt hatte; in Maria Magdalena findet sie ihr eigenes Schicksal wiedergespiegelt (sie hatte 1842 einen unehelichen Sohn geboren). Ich sah in Meister Anton und in Hebbel meine Richter – letzterem wünschte ich nie zu begegnen. Aber das Treffen verläuft ganz anders als gedacht:

Seine hagere Gestalt, die blasse Leidensmiene flößte mir beim ersten Anblick das tiefste Mitleid ein. (...) Dann sprach er über die dramatische Kunst, über Dichter, nie hatte ich Ähnliches gehört, ich war begeistert. Ich sah nicht mehr die hagere Gestalt, ich sah nur sein blaues Auge, aus dem Funken sprühten, als er so sprach. – Beim Fortgehen sagte er mir Lebewohl, da er an einem der nächsten Tage abreisen wolle. Mir wurde recht traurig zumute, als er mich verlassen – ich hatte von seiner Armut gehört; seine ärmliche Kleidung, der schwarze Frack, der ihm nicht paßte, bezeugten sie nur zu sehr. Wenn ich reich wäre, sagte ich mir, so würde ich ihm eine sorgenlose Zukunft schaffen – dies war mein Gefühl bei seinem ersten Scheiden. (...) Längst glaubte ich Hebbel abgereist, da tritt er eines Tages wieder in die Tür, aber wie veredelt – dem Äußern nach, – ein feiner, eleganter Oberrock, ein gleicher Hut und Handschuhe – ich traute meinen Augen kaum. (...) Ich verlebte wieder eine glückliche Stunde, in der ich ihn sprechen hörte; etwas zu erwidern wagte ich kaum in meiner Schüchternheit, denn mir erschien alles, was ich hätte sagen können, zu unbedeutend, zu kindisch. Nur aus meinen Augen (auf deren Ausdruck er später alles gab) konnte er sehen, welchen Eindruck er auf mich machte. Diesmal glaubte ich wirklich an seine Abreise, die er in den nächsten Tagen antreten wolle, – mit tiefer Trauer darüber sagte ich ihm ein herzliches Lebewohl! Acht Tage waren vergangen, da stürzt eines Morgens mein Mädchen in die Tür und meldet, da es noch früh war, Herrn Dr. Hebbel. Ich traute meinen Sinnen nicht, doch ein freudiges Ach! entrang sich meiner Brust. „Diesmal komme ich nicht, um Lebewohl zu sagen, wohl aber um zu fragen, ob ich öfter kommen darf. Sie halten mich hier fest.“ – Was ich darauf erwiderte, weiß ich nicht mehr – ich glaube, es war ein stummes und doch beredtes Zeichen, das einem Kuß nicht ganz unähnlich sah.

(Hebbels Persönlichkeit 1, 199f.)

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Lithographie von Eduard Kaiser, 1846


 

26. Mai 1846

Hebbel heiratet Christine Enghaus.

Ich verlobte mich mit Fräulein Enghaus; ich that es sicher aus Liebe, aber ich hätte dieser Liebe Herr zu werden gesucht und meine Reise fortgesetzt, wenn nicht der Druck des Lebens so schwer über mir geworden wäre, daß ich in der Neigung, die dieß edle Mädchen mir zuwendete, meine einzige Rettung sehen mußte. Ich zögere nicht, dieses Bekenntniß unumwunden abzulegen, so viel ich auch dabei verlieren würde, wenn ich einen Deutschen Jüngling zum Richter hätte; auf eine unbesiegbare Leidenschaft darf man sich nach dem dreizigsten Jahre nach meinem Gefühl nicht mehr berufen, wenn man nicht ein völlig inhaltloses Leben führt, wohl aber auf eine Situation, die, ein Resultat aller vorher gegangenen, das Daseyn selbst mit seinem ganzen Gehalt in’s Gedränge bringt, wie es in jedem Sinn mein Fall war.

(T 3874)

Notwendigerweise kommt es zum Bruch mit Elise Lensing. Es gehen böse Briefe hin und her (von denen keiner erhalten ist), erst Christine wird 1847 eine Aussöhnung (wenn auch nicht Versöhnung) herbeiführen.

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Christine Hebbel 1855
Lithographie von Joseph Kriehuber

Über Christine Hebbel als Schauspielerin heißt es:

Im Anfang gefiel sie namentlich in Rollen, die durch den Ausdruck von Innigkeit und Gefühl wirken sollen, doch dauerte es nicht lange und es erwies sich ihre Begabung für das tragische Fach, in welchem ihr wieder gewaltige weibliche Charaktere am besten gelangen. Nach sechsjähriger erfolgreicher Thätigkeit in der Hansastadt [Hamburg] wurde sie 1839 zu einem Gastspiel an das Hofburgtheater geladen, woselbst sie als „Eugenie“ in „Die Geschwister“, „Griseldis“, „Marie“ in „Zurücksetzung“, „Jungfrau von Orleans“, „Maria Stuart“, „Marie“ in „Die Fremde“ debütierte. Am 1. April 1840 trat sie in den Verband der ersten deutschen Bühne, an welcher sie bereits nach kurzem Wirken zur wirklichen Hofschauspielerin ernannt, als Zierde des Instituts bis zu ihrer Pensionierung, Dezember 1875, verblieb. Ihr ausdrucksvolles Spiel, ihre junonische Gestalt, ihre ungewöhnliche Intelligenz vermehrten jährlich die Zahl ihrer Verehrer. Als eine ihrer vollendetsten Leistungen galt die Rolle der „Judith“ in der gleichnamigen Tragödie von Friedrich Hebbel. (...) Bald darauf teilte ihr Laube am Burgtheater, nachdem sie bisher nur in der Tragödie ihre Meisterschaft gezeigt hatte, die „Gräfin“ in „Magnetische Kuren“ von Hackländer zu. Bei dieser Gelegenheit wurde die Künstlerin, wie sich Laube ausdrückte, „für eine Lustspielrolle geboren, welche ihr niemand zutrauen wollte. Diese Rolle schuf ihr ein neues Fach...“

(Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig 1903, S. 405)

Vgl. Anni Meetz: Friedrich und Christine Hebbel. In: HJb 1960, 143–158. – Martin M. Langner: Der Einfluß Christine Hebbel-Enghaus’ auf das Schaffen Friedrich Hebbels. In: HSR 3. Wien 1990, 81–90.
Romanhafte Darstellung: Else Hoppe: Die Ebenbürtigen. Christine Engehausens Ehe mit Friedrich Hebbel. 2. Aufl. Braunschweig 1949.

Das Paar wohnt zunächst in der Josephstadt in der heutigen Lenaugasse 8, dann, von 1846–48, einige Häuser weiter in der Lenaugasse 2, wo damals wie heute das Café Eiles ist. Im Juli 1846 begleitet Hebbel seine Frau auf eine Gastspielreise nach Ofen in Ungarn. Am


 

27. Dezember 1846

bringt Christine einen Sohn zur Welt, der den Namen Emil erhält und – wegen seines baldigen Todes – Ariel genannt wird.

Auf dem 2ten Kirchhof zur Schmelz, N: 1776, oberhalb des Grabes von einem zehnjährigen Knaben, so daß man, wenn man sich mit dem Rücken gegen den Grabstein des Letzteren stellt und mit dem rechten Fuß einen Schritt thut, auf das Grab tritt, ruht mein Ariel, mein theures, heißgeliebtes Kind. Diese Adresse glaubte ich in diesem Tagebuch nicht so bald einzutragen. Sonntag, den 14ten Februar, Abends 9 Uhr, ist der Engel gestorben, ohne vorher krank gewesen zu seyn, an den Fraisen, oder am Herzkrampf, wie der Arzt sagte.

(T 3980)

Dem nun zum erstenmal im Leben etablierten Hebbel eröffnen sich neue Möglichkeiten, neue Kontakte zu Kritikern, Herausgebern und Verlegern knüpfen sich an. In den Jahren 1846/47 erscheinen viele längst fertige Werke wie der Diamant oder die Erzählungen aus der Hamburger und Münchner Zeit erstmals im Druck. Die während der Reisejahre entstandenen Gedichte erscheinen 1848 in dem Band Neue Gedichte. Zeitgleich arbeitet Hebbel an drei verschiedenen Stücken: Der „Tragikomödie in einem Akt“ Ein Trauerspiel in Sizilien, dem dreiaktigen Trauerspiel Julia und der Tragödie in fünf Akten Herodes und Mariamne. Ende 1846 war die Julia bis auf einige Scenen vollendet, während das Trauerspiel halb fertig liegen geblieben ist und wahrscheinlich auch ferner liegen bleiben wird (T 3874). Die Idee zu Herodes und Mariamne hatte er einige Tage zuvor im Tagebuch festgehalten (T 3837). Dann wird aber doch zunächst sehr rasch, am


 

9. Januar 1847

das Trauerspiel in Sicilien fertiggestellt. Es erscheint im gleichen Jahr in einer Zeitschrift, aber erst 1851, mit einem an den Kritiker Heinrich Theodor Rötscher gerichteten Vorwort über die Gattung der Tragikomödie versehen, als Buch. Die Uraufführung findet erst 1907 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg statt. Heute ist es eines von Hebbels vergessenen Werken.

Vgl. Karl S. Guthke: Hebbels Trauerspiel in Sizilien. Zur Frage der Gattung. In: HJb 1957, 79–96 – Ludger Lütkehaus: Die Gesellschaft und ihr Henker. Zu Hebbels Ein Trauerspiel in Sizilien. In: HJb 1973, 84–118. – Gerhard Kaiser: Hebbels Trauerspiel in Sizilien als Tragikomödie. In: HJb 1974, 167–192. – Andrea Rudolph: Revision und Neubegründung der Aufklärung. Friedrich Hebbels Trauerspiel in Sizilien. In: HSR 8, Berlin 2004, 41–54.

Gleichzeitig (am 2. Januar 1847) erscheint eine Szene aus dem ersten Akt des Moloch in der von Gustav Kühne herausgegebenen Zeitschrift „Europa“. Es ist die einzige zu Hebbels Lebzeiten gedruckte Szene dieses großangelegten Fragments, an dem er schon in Italien gearbeitet hatte und auch in den kommenden Jahren immer wieder arbeiten wird, bis er schließlich, am 17. Dezember 1861, notiert: Moloch einmal wieder hervorgezogen; schon vergilbt. Der Ton ist zu hoch genommen; ich müßte von vorn wieder anfangen. Das ist aber ein Proceß, als ob man schon vorhandene Rosen, Bäume Thiere u.s.w. durch chemische Zerstörung wieder in die Elemente zurück jagen sollte (T 5940). Im Moloch versucht er, den Prozeß der Zivilisierung als dramatischen Vorgang darzustellen, aber es gelingt ihm nicht, die (eher geschichtsphilosophische) Idee in eine poetische Handlung umzusetzen.

Vgl. Andrea Stumpf: Die Priesterherrschaft. Zur Frage ihrer Legitimation in Hebbels Moloch. In: HJb 1992, 53–75. – Monika Ritzer: Der funktionalisierte Moloch. Zu Hebbels Kulturbegriff am Beispiel eines Dramenprojekts. In: HSR 5. Wien 1995, S. 47–66. – Jürgen Söring: „Heilige Lüge“ und „Wille zur Macht“. Über den Zusammenhang von Kult, Kultur und Gewalt in Hebbels Moloch-Fragment. In: HJb 2004, 9–28.


 

23. Februar 1847

Wenige Tage nach dem Tod des Sohnes Emil beginnt er mit der Arbeit an Herodes und Mariamne. Am 24. März ist der erste Akt fertig, aber der Sommer unterbricht die Arbeit, und dann beendet er zunächst die Julia (23. Oktober 1847). Dieses Stück erscheint 1851 im Druck und wird erst 1903 in München uraufgeführt. Zusammen mit dem Trauerspiel und dem Moloch bildet es einen Komplex von dramatischen Experimenten, die heute allgemein als mißlungen angesehen werden, die aber offenbar nötig waren, um sich darüber klar zu werden, welchen Weg er in der Dramatik weiter beschreiten wollte. Hebbel selbst war sich dessen schon bewußt:

Julia ist schon ganz Uebergangsproduct; ich trete nun in eine neue Sphäre ein und habe in derjenigen, die ich hinter mir zurücklasse, Nichts mehr zu suchen, ja ich lebte eigentlich, während ich die letzten Acte der Julia ausführte, schon in der neuen und fühlte mich, als sie fertig war, von einer wahren Last befreit. Daher kam es, daß sie auch schneller bei mir, wie noch irgend ein anderes meiner Stücke, in den Hintergrund trat.

(An Heinrich Theodor Rötscher, 22. Dezember 1847, WAB 1, 978)


 

12. Mai 1847

Tod des Sohnes Ernst in Hamburg. Hebbel hat ihn nie gesehen.

Was war das Erste, das meine Frau sagte, als sie die Todes-Botschaft wegen meines Kindes erfuhr? „Laß’ sie – die Mutter – zu uns kommen, laß’ sie gleich kommen!“ Und auf’s Tödtlichste war sie von der gekränkt und beleidigt. Lebt noch eine Zweite auf Erden, die so spräche und gleich ein Zimmer einrichtete, Betten besorgte u.s.w.? Ich zweifle!

(T 4170)

Nur zwei Wochen später, Ende Mai 1847, kommt Elise Lensing auf Einladung Christines nach Wien und lebt mehr als ein Jahr, bis zum August 1848, unter einem Dach mit Hebbel und seiner Frau. Der Außenwelt bleibt die besondere Beziehung des Gastes zum Hausherrn allerdings verborgen, sie wird als „Cousine“ vorgestellt. Elise wird auch Patin der am


 

25. Dezember 1847

geborenen Tochter, die nach der Mutter Christine getauft, im Familienkreis aber stets „Titi“ genannt wird. Es ist das letzte und einzige überlebende Kind Hebbels. Sie heiratet 1869 Hofrat Alfred Kaizl in Wien und hat sechs Töchter, von denen zwei in die Fußstapfen der Großmutter treten und Schauspielerin werden. Christine (Titi) stirbt am 28. Juli 1922.

Welch ein ängstlicher Besitz ist der eines geliebten Kindes! Bis jetzt ist mein kleines Mädchen nicht krank, aber auch nicht gesund. Mich erschreckt jedes Geschrei, das es von sich giebt und ich komme weder bei Tage noch bei Nacht zur Ruhe. Diesen Zoll will ich gern bezahlen, wenn es mir nur erhalten bleibt. Ist das Schicksal aber noch einmal grausam gegen mich, so steht mein Entschluß fest. Ein fünftes Kind will ich nicht haben.

(18. Januar 1848, T 4352)

Der Februaraufstand in Paris führt zu einer Kettenreaktion durch ganz Europa. Im März 1848 werden nahezu alle deutschen Staaten durch Aufstände erschüttert, die schwerwiegendsten und folgenreichsten davon in Berlin und Wien.

Ich lebe jetzt in einem anderen Oestreich, in einem Oestreich, worin ich sichrer bin, wie Fürst Metternich, wo Preßfreiheit proclamirt, National-Bewaffnung eingeführt, eine Constitution versprochen ist! Wer hat Zeit, das Nähere nieder zu schreiben, aber so viel muß hier stehen! Ein ganz neues Stück habe ich, gleich nachdem ich das letzte Placat des Kaisers vernahm, erfunden. Wenn nur ein Andrer die Ideen für mich niederschriebe!

(15. März 1848, T 4371)

Am selben Tag beginnt er mit einer Reihe von Berichten aus Wien für die Augsburger „Allgemeine Zeitung“, die er bis Anfang 1849 fortführt (W 10, 53–157). Im Mai kandidiert er in der Leopoldstadt für das Frankfurter Parlament, wird aber nicht gewählt.

Er hielt eine längere Rede, die achtungsvoll gehört, aber nicht verstanden wurde. Er hatte den fremdländischen Akzent noch nicht abgeschliffen, und die Aussprache war ohne jede scharfe Vokalisierung, weshalb er auch als Vorleser seiner Dichtungen nur mit Anstrengung von den Hörern klar verstanden werden konnte. Er trat, ohne ein Beifallszeichen zu vernehmen, von der Tribüne ab. Er fühlte durchaus und energisch deutsch. Dem Norddeutschen war es keine Pflicht, österreichisch zu sein; er prophezeite und wünschte ein Aufgehen Österreichs in Deutschland.

(Hebbels Persönlichkeit 1, 228)

Vgl. Hartmut Fröschle: Friedrich Hebbel als politischer Journalist im Revolutionsjahr 1848. In: HSR 7. Berlin 2000, 95–115.

Die Revolution hatte auch eine andere, ganz unerwartete Auswirkung für Hebbel: Seine Stücke, die unter Metternichs Zensur nicht auf die Bühne kommen konnten, wurden nun gespielt. Am


 

8. Mai 1848

hat die Maria Magdalena Premiere auf dem Hofburgtheater, mit Christine in der Rolle der Klara.

Gestern Abend brachte das K. K. Hofburgtheater meine Maria Magdalena, unverkürzt und unverändert. Das Stück war eine Bildungsprobe für das Wiener Publicum, es fand aber den ungetheiltesten Beifall und machte auch nicht in dem bedenklichsten seiner Momente die Prüderie rege. (...) Freilich war die Darstellung auch eine unvergleichliche; Anschütz als Meister Anton stellte ein ehernes Bild hin und Tine legte ein zerfleischtes Herz auf eine mich so erschütternde Weise bloß, daß ich für sie zitterte und bebte. Ich hatte mich auf eine Gallerie begeben und war fest entschlossen, für den Fall des Gerufenwerdens nicht zu erscheinen, blieb auch, wo ich war, trotz dem, daß dieser Fall gleich nach Schluß des ersten Acts schon eintrat und sich bei’m Schluß des zweiten wiederholte. Dann aber ließ Tine mich herunter holen und ich mußte mich ungeachtet meines Ekels gegen dieses Hervortreten mit der eigenen überflüssigen Person entschließen, das nachzumachen, was ein Schock Narren vorgemacht hat.

(T 4396)


 

20. Juni 1848

Man reißt jetzt das Pflaster des Staats und der Gesellschaft auf. Ich habe dabei ein eigenthümliches Gefühl. Mir ist, als ob dem Bau, der jetzt zerstört wird, uralte Erfahrungen zu Grunde lägen, aus Zuständen gewonnen, wie sie jetzt wieder im Anzug sind, als ob jeder Pflasterstein auf der umgekehrten Seite die Inschrift trüge: auch wir wissen, daß dieß ein Pflasterstein ist, wenn wir ihm gleich das Bild eines Gottes aufgeprägt haben; seht Ihr zu, wie Ihr ohne Pflastersteine, die man für mehr als Pflastersteine hält, fertig werden wollt!

(T 4411)

Anfang Juni 1848 ist Hebbel Mitglied und Wortführer einer Schriftstellerdeputation, die nach Linz reist, um den dorthin geflüchteten Kaiser zur Rückkehr nach Wien zu bewegen – vergeblich. Im Sommer beginnt er wieder an Herodes und Mariamne zu arbeiten: So strömte es in mir zur Zeit der Genoveva (T 4431). Am


 

27. August 1848

reist Elise Lensing wieder nach Hamburg, zusammen mit Christines unehelichem Sohn Karl, den sie bis zu ihrem Tod bei sich behält, wofür sie ein Erziehungsgeld von 300 Gulden jährlich erhält. Die beiden Frauen beginnen einen Briefwechsel.

Vgl. Rudolf Kardel (Hg.): Elise Lensing. Briefe an Friedrich und Christine Hebbel. Berlin und Leipzig 1929.

Im Oktober wird das revolutionäre Wien von kaiserlichen Truppen belagert und beschossen. Mitten in dieser Schreckenszeit dichtet Hebbel am 5. Akt von Herodes und Mariamne. Ja, das Werk war mir im Element des nach jeder Seite hin Widerwärtigen die einzige Rettung und es stand mir auch mit Frau und Kind, für die ich zitterte, in gleicher Linie (T 4461). Am 31. Oktober läßt Feldmarschall Windischgrätz die Innenstadt beschießen, am 1. November ist die Stadt in seiner Hand, Militärgerichte wurden eingerichtet, Hunderte verhaftet, 24 Todesurteile vollstreckt, u. a. auch am Frankfurter Paulskirchenabgeordneten Robert Blum. Hebbels Freund Sigmund Engländer muß ebenfalls eine Verurteilung fürchten und flüchtet aus Wien und Österreich. Am


 

14. November 1848

beendet Hebbel die Arbeit an Herodes und Mariamne (gedruckt 1850).

Vgl. Josef Körner: Friedrich Hebbels Hauptwerk. In: Jb des Freien Deutschen Hochstifts 1928, S. 178–236. – Kurt May: Hebbels Herodes und Mariamne. In: HJb 1949/50, 47–59. – Lawrence Ryan: Hebbels Herodes und Mariamne. Tragödie und Geschichte. In: Hebbel in neuer Sicht, 247–26. – Joachim Müller: Zu Struktur und Motivik in Hebbels Herodes und Mariamne. In: HJb 1966, 56–87. – Peter Schütze: Die maskierte Idee. Betrachtungen anhand Herodes und Mariamne. In: HJb 1984, 103–133. – George A. Wells: Herodes und Mariamne – Zwei vom gleichen Schlag? Kommentar zur jüngsten Diskussion über Hebbels Stück. In: HJb 1985, 79–99. – Michael Post: Das Geschichtsdrama in der Maske der Liebestragödie. Eine Interpretation zu Hebbels Herodes und Mariamne. In: HJb 1987, 27–56.

Um diese Zeit zieht die Familie in die Untere Bräunerstraße 1130 in der Inneren Stadt und bleibt dort bis zum Herbst 1859. In dieser Wohnung versammelt sich ein Kreis von jungen Freunden und Verehrern um Hebbel. Zu ihnen gehören Julius Glaser, später Justizminister von Österreich, Karl Werner, dessen Sohn Richard Maria Werner später die historisch-kritische Hebbel-Ausgabe betreut hat, der musikalisch begabte Karl Debrois van Bruyck und seit dem Frühjahr 1849 Emil Kuh (1828–1876), der zum engsten Vertrauten und nach Hebbels Tod zu seinem Biographen wird.

Erwin Streitfeld: „Der Umgang mit einem großen Manne ist wie das Wohnen in der Nähe eines feuerspeienden Berges.“ Friedrich Hebbel und Emil Kuh. Phasen ihrer Beziehung. In: HJb 1997, 85–107.


 

27. Januar 1849

erscheint die Erzählung Die Kuh in der Wiener Zeitung „Die Presse“. Es ist Hebbels letzte Erzählung; sie wird später als ein Vorläufer der Kurzgeschichte betrachtet.

Vgl. Ludger Lütkehaus: Pantragische Liquidation oder soziale Katastrophe. Hebbels Erzählung Die Kuh. In: HJb 1975, 182–196. – Manfred Durzak: Der wiederentdeckte Erzähler. Zu Hebbels Kurzprosa. In: Neue Studien, 167–176.

Die Judith wird am 1. Februar zum erstenmal am Hofburgtheater aufgeführt. Anders als Maria Magdalena, die nach 1849 nicht mehr auf den Spielplänen erscheint, bleibt sie ein Repertoirestück und die Judith eine Paraderolle für Christine. Dagegen wird die Uraufführung von Herodes und Mariamne am


 

19. April 1849

ein Mißerfolg:

Herodes und Mariamne wurde gegeben. Das Spiel war vortrefflich, die Inscenirung glänzend, die Aufnahme im höchsten Grade kühl. Das Publicum war sichtlich nicht im Stande, der Composition zu folgen, auch spielte das Stück zu lange, bis ¾ auf 11 Uhr. (...) Zu Hause lag mein Töchterlein an den Blattern, den natürlichen, darnieder, dabei mußte meine arme Frau spielen und erhielt für ihre wunderbare Leistung nicht den geringsten Dank. Ein schmerzensreicher, qualvoller Abend für mich als Mensch.

(T 4581)

Gleichzeitig arbeitet Hebbel an dem Märchendrama Der Rubin (hervorgegangen aus dem Prosamärchen von 1837), das am 21. November auf dem Burgtheater uraufgeführt wird, auch dies ohne größeren Erfolg.

Vgl. Heinz Stolte: Die Parabel vom Fischersohn und der Krone – Betrachtungen zu Friedrich Hebbels Märchenlustspiel Der Rubin. In: HJb 1980, 9–30. – Andrea Rudolph: Ferdinand Raimunds Edelsteinallegorie in Friedrich Hebbels Komödie Der Rubin (1849). Ein Beitrag zur Wirkung der Wiener Bühne auf Hebbel. In: HSR 6. Hamburg 1998, 19–46. – Carsten Kretschman: Haben oder Sein. Zur Konfiguration von Hebbels Lustspiel Der Rubin. In: HJb 2001, 103–137.


 

1. November 1849

Hebbel übernimmt die Feuilletonredaktion der „Österreichischen Reichszeitung“. Unter den Mitarbeitern, die er für das Blatt gewinnt, sind nicht nur bekannte Wiener Schriftsteller wie Bauernfeldt, Castelli und Hieronymus Lorm, sondern er läßt auch Elise Lensing Berichte aus Hamburg verfassen, um ihr eine Einkunftsmöglichkeit zu verschaffen (sie bekommt 10 Gulden pro Monat). Hebbel fühlt sich aber durch die zeitraubende Tätigkeit in seiner poetischen Produktion gestört und tritt schon am 15. März 1850 wieder von dem Posten zurück. Es bleibt sein einziger Versuch, hauptberuflich publizistisch tätig zu sein.

Vgl. Astrid Stein: Friedrich Hebbel als Publizist. Münster 1989. Darin: Hebbel und die „Österreichische Reichszeitung“. S. 198–214.

Ende 1849 wird Heinrich Laube (1806–1884) künstlerischer Leiter des Burgtheaters und damit Christine Hebbels Vorgesetzter. Er behält diese Stellung bis 1867 inne. Hebbel sieht in ihm die Ursache dafür, daß Stücke von ihm kaum noch aufgeführt werden und daß seine Frau nicht nach ihren Möglichkeiten eingesetzt wird. Die Beziehung wird mit den Jahren zu einer Art Intimfeindschaft, und erst kurz vor Hebbels Tod zwingt der Erfolg der Nibelungen auf anderen deutschen Bühnen Laube, sie auch im Burgtheater zu geben.


 

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Es gibt Leute, die nur aus dem Grunde in jeder Suppe ein Haar finden, weil sie, wenn sie davor sitzen, so lange den Kopf schütteln, bis eins hineinfällt.

Tagebuch, 11. Januar 1857