Paris 1843 / 44, Rom und Neapel 1844 / 45
12. September 1843
Ankunft in Paris.
Ich befinde mich hier im allerhöchsten Grade unbehaglich, und glaube nicht, daß dies sich ändern wird
(T 2788).
Vgl. Hermann Fricke: Paris als Schicksal Friedrich Hebbels. In: HJb 1964, 105–128. – Marcus Pyka: „Paris wird immer der Mittelpunct aller meiner Wünsche bleiben.“ Hebbel und Paris – Hebbels Paris. In: HSR 8. Berlin 2004, 199–214.
Auf den Rat eines hamburger Bekannten hat er in St. Germain ein Zimmer gemietet und stellt zu spät fest, daß dies (zu der damaligen Zeit) ein weit vor den Toren von Paris liegendes Dorf und er dort völlig abgeschnitten ist. Erst nach vier Wochen kann er nach Paris umziehen. Unter den vielen deutschen Emigranten ist Heinrich Heine einer der ersten, dem Hebbel in Paris begegnet.
Er wohnt hoch, aber elegant. Als er zurückkehrte, gab ich ihm Campe’s Brief. Er öffnete ihn, hatte aber kaum einen Blick hinein gethan, als er ihn wieder aus der Hand legte und mit den Worten: „Sie sind Hebbel? Ich freue mich außerordentlich, Sie persönlich kennen zu lernen!“ auf mich zueilte. „Sie sind einer von den sehr Wenigen – fügte er hinzu – die ich schon zuweilen beneidet habe; ich kenne Ihre Judith noch nicht, nur Ihre Gedichte, aber die haben den entschiedensten Eindruck auf mich gemacht, ich hätte Ihnen manches Sujet stehlen mögen, namentlich den Hexenritt.“ (...) Es kam nun gleich ein lebhaftes Gespräch zwischen uns in den Gang, wir wechselten die geheimen Zeichen, an denen die Ordensbrüder sich einander zu erkennen geben, aus, und vertieften uns in die Mysterien der Kunst. Mit Heine kann man das Tiefste besprechen und ich erlebte einmal wieder die Freude einer Unterhaltung, wo man bei dem Anderen nur anzuticken braucht, wenn man den eigensten Gedanken aus seinem Geist hervor treten lassen will. Das ist sehr selten.
(An Elise, 16. September 1843, WAB 1, 488)
Trotz dieses verheißungsvollen Beginns kommen Hebbel und Heine sich innerlich nicht wirklich nahe. Es bleibt bei sporadischen Begegnungen. Wichtiger wird die Begegnung mit Felix Bamberg (1820–1893), der nicht nur Hebbels Cicerone in Paris, sondern auch einer seiner ersten begeisterten Anhänger wird. Er schreibt die erste selbständige Sekundärarbeit über Hebbel (Über den Einfluß der Weltzustände auf die Richtungen der Kunst und über die Werke Friedrich Hebbels. Hamburg 1846) und wird nach Hebbels Tod zum Herausgeber seines Nachlasses.
U. Henry Gerlach: Verehrung und Verschwörung. Aspekte der Bemühungen F. Bambergs um Hebbels Nachlaß. In: HJb 1976, 45–75.
Mit dem Umzug nach Paris nimmt er die Arbeit an der Maria Magdalena wieder auf und hat den zweiten Akt vollendet, als er mit dreiwöchiger Verspätung erfährt, daß am
2. Oktober 1843
sein Sohn Max gestorben ist. Hebbels Schmerz kennt keine Grenzen:
Mein Max, mein holdes, lächelndes Engelkind mit seinen tiefen blauen Augen, seinen süßen blonden Locken, ist todt. Sonntag, den 22sten, Mittags um 1 Uhr erhielt ich die Nachricht. Da liegt seine kleine Locke vor mir, die ich schon nach Copenhagen mitnahm und die ich seither – es stehe hier! – noch nie betrachtete; sie ist das Einzige, was mir von ihm übrig blieb. O, wenn ich mir das denke, daß dies Kind, das Keiner – mich selbst, den Vater, den großen Dichter ausgenommmen, es stehe auch hier! – ohne Freude und Entzücken betrachten konnte, so schön, so anmuthig war es, daß dies Kind nun verwesen und sich von Würmern fressen lassen muß, so mögt’ ich selbst ein Wurm werden, um mit zu essen, um als scheuseliges Thier meinen Antheil dahin zu nehmen, den ich als Mensch, als Vater verschmähte. Ich könnte diese Locke hinunter schlingen, ich könnte etwas noch Aergeres thun, ich könnte sie verbrennen, weil ich sie nicht verdiene! (...) Ich sehe Dich, Kind, süßes aufquellendes Leben, wie Du Mittags an Deinem kleinen Tisch saßest und mir zunicktest und sagtest: ich mag auch Wein! und wartetest, ob ich einen Tropfen für Dich übrig ließe. Und das Gesicht, das süße, süße Gesicht! O Gott, o Gott! Du stelltest den Engel vor meine Thür und er lächelte mich an und sagte: willst Du mich? Ich nickte nicht Ja, aber er kehrte doch bei mir ein, er dachte: sieh mich nur erst recht an, dann wirst Du mich schon behalten, mich nicht wieder lassen wollen. Aber ich hatte selten einen anderen Gedanken, als den: wie soll ich ihn ernähren, und in meiner unmännlichen Verzagtheit war ich stumpf und dumpf gegen das Glück, das sich um mich herum bewegte, das ich nur in die Arme zu schließen brauchte, um einen Schatz für alle Zeiten zu haben. Da rief Gott ihn wieder ab, und er ging doch nicht gern, denn er hatte eine Mutter, die ihm zum Ersatz für den Vater zwei Mal Mutter war. Nun helfen keine Klagen, keine Schmerzen, keine Thränen!
(T 2805)
Die Maria Magdalena bleibt wochenlang liegen, bis er sich Ende November zusammennimmt und sie am
4. Dezember 1843
fertigstellt. Gleich darauf schreibt er das lange philosophische Gedicht Das abgeschiedene Kind an seine Mutter (W 6, 294–298), ein dichterisches Weihnachtsgeschenk an Elise, das allerdings zu lang und philosophisch ist, als daß es sie über den Tod ihres Kindes hinwegtrösten könnte. Zugleich erfährt er, daß sie wiederum schwanger ist.
Klara am Brunnen
Illustration zu Maria Magdalena von Hugo Steiner-Prag, 1923
Ein Versuch, die Maria Magdalena am Berliner Hoftheater unterzubringen, scheitert: die Heldin ist schwanger, und das ist ein unüberwindlicher Stein des Anstoßes (T 3001). Hebbel einigt sich mit Campe über den Verlag und schließt am
4. März 1844
das Vorwort zur „Maria Magdalena“ (W 11, 39–65), das zu seinen wichtigsten theoretischen Schriften gerechnet wird und in dem er das Drama für das 19. Jahrhundert neu zu definieren versucht. Die Drucklegung der Maria Magdalena verzögert sich, weil Hebbel das Stück Christian VIII. widmen will und dazu erst die Erlaubnis des dänischen Hofes einholen muß. Die gereimte Dedikation an den König schreibt er erst in letzter Minute, sie ist metaphysisch, also schlecht. Ich hatte nur 2 Tage Zeit, sie zu machen (WAB 1, 651). Erst wenige Tage vor seiner Abreise nach Rom erhält er die ersten gedruckten Exemplare.
Vgl. Kurt May: Hebbels Maria Magdalena. In: Ders.: Form und Bedeutung. Stuttgart 1957, S. 273–298. – Martin Stern: Das zentrale Symbol in Hebbels Maria Magdalena. In: Hebbel in neuer Sicht, 228–246. – Joachim Müller: Zur motivischen und dramaturgischen Struktur von Hebbels Maria Magdalena. In: HJb 1968, 45–76. – Ludger Lütkehaus: Friedrich Hebbel. Maria Magdalena. München 1982. – Wolfgang Ranke: Friedrich Hebbel. Maria Magdalena. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2003.
8. März 1844
Die Ballade Der Haideknabe entsteht (W 6, 166–168). Sie geht auf eine Erzählung zurück, die Hebbel in Hamburg von Amalia Schoppe gehört hatte. Robert Schumann komponiert das Gedicht 1853 als Melodram.
Vgl. Hargen Thomsen: Die Quelle zu Hebbels Ballade Der Haideknabe. In: HJb 1992, 97–103.
14. Mai 1844
Geburt des zweiten Sohnes Ernst in Hamburg
28. Mai 1844
Ein Spatziergang in Paris (W 6, 241–247). Dieses lange Gedanken-Gedicht wird ausgelöst durch die Nachricht vom Tode Thorwaldsens (24. März 1844), der darin als der Letzte der klassischen Kunstepoche apostrophiert wird:
Thorwaldsen folgt, der Letzte wohl im Zug,
Der aus dem Marmor griech’sches Feuer schlug,
Der das, was werden sollte und nicht ward,
Weil es im Werden selbst schon halb erstarrt,
Das ungeschaff’ne Urbild alles Seins,
Erlös’te aus dem spröden Schooß des Steins.
31. August 1844
entsteht das wohl berühmteste Gedicht Hebbels, das Sommerbild:
Ich sah des Sommers letzte Rose steh’n,
Sie war, als ob sie bluten könne, roth;
Da sprach ich schauernd im Vorübergeh’n:
So weit im Leben, ist zu nah’ am Tod!
Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.
26. September 1844
22 Jahre auf einem Fleck in Dithmarschen und jetzt doch im Begriff, nach Rom zu gehen! Es ist wie ein Traum! Ich fuhr mit diesem Gedanken aus dem Schlaf auf, sprang aus dem Bett und kleidete mich an. Heute Nachmittag um 5 reise ich. Es war ein Paar Tage Regenwetter, aber jetzt scheint die Sonne wieder so freundlich, als wollte sie mir die Stadt, die ich verlassen muß, noch einmal im glänzendsten Licht zeigen, damit ich sie nicht vergesse. Das ist unnöthig, Paris wird immer der Mittelpunct aller meiner Wünsche bleiben. Lebe wohl, du schöne, herrliche Stadt, die mich so gastfreundlich aufnahm! Empfange meinen wärmsten Segen! Blühe länger, als alle Städte der Welt zusammen genommen!
(T 3241)
3. Oktober 1844
Ankunft in Rom. In den ersten Wochen wird er von einem gastrischen Fieber und einer Drüsenerkrankung heimgesucht.
Hauptursache meiner Krankheit war eben mein Zimmer. Es ist groß und gut meublirt, aber ohne Sonne, und das italiänische Sprichwort sagt: wohin die Sonne nicht kommt, dahin kommt der Arzt! Was soll ich machen? Dieß Zimmer habe ich für 4 Scudi, jedes nach der Sonnen-Seite kostet 5 bis 7 und ich bin natürlich mit meiner Casse so herunter, daß ich nur mit genauster Noth noch 3 Monate existiren kann, dann aber keinen Pfenning mehr habe. (...) Von dem Klima dieser Stadt macht sich Niemand eine Vorstellung. Eine halbe Straße ist gesund, die andere Hälfte brütet Krankheiten. Ein Fremder glaubt es nicht, bis er’s gefühlt hat. Morgens und Abends immer giftige Nebel, die wie Dämpfe aus der Erde steigen.
(An Elise, 16. Dezember 1844, WAB 1, 670)
Später wird Hebbel mit Louis Gurlitt (1812–1897) zusammenziehen, einem aus Altona stammenden Landschaftsmaler:
Da in meiner Wohnung, an der Ecke der Via Sistina und der Via della Porta Pinciana, ein Zimmer leer stand, veranlaßte ich ihn später, zu mir zu ziehen; und so lebten wir lange zusammen, außer der Arbeitszeit unzertrennlich. Wenn ich mit anderen Freunden ausging und verkehrte, fühlte er sich verletzt. Es folgten dann Tage und Wochen, in denen er mit mir wie bei Liebenden schmollte, bis es dann endlich zu Erklärungen kam, mitunter sehr heftigen, wobei er verlangte, ich solle mich ihm ganz und allein ergeben, wie er es mir getan habe, worauf ich natürlich, da ich schon ältere Freunde in Rom hatte, nicht eingehen wollte und konnte. Nach solchen Szenen lebten wir dann wieder in vollster Eintracht. (...) Später entschloß sich Hebbel, auch mit meinen älteren Freunden zu verkehren und sich zu befreunden. Vereint haben wir dann, besonders am Kamin beim Bildhauer Kümmel, mit Rahl, v. Osten, Brumeier und anderen herrliche Stunden verlebt.
(Hebbels Persönlichkeit 1, 163f.)
Der fröhlichste Tag für mich in Rom war der Weihnachts-Abend, den ich bei meinen Landsleuten, den Dänen und Holsteinern, zubrachte; ein himmlisches Wetter, wovon man im Norden keine Vorstellung hat, ein Himmel über mir, als ich die Spanische Treppe hinanstieg, wie eine blaue Kristall-Glocke, in den Gärten blühende Rosen. Wir genossen, mit Weinlaub bekränzt, ein einfaches Mahl, Toaste wurden ausgebracht, sogar einer auf mich, und Alles war glücklich. Ich hätte weinen können, denn ich empfand es einmal wieder recht lebhaft, daß ich gar nichts Besonderes für mich will, sondern daß all mein Mißmuth daher rührt, mich mein ganzes Leben hindurch von jedem Kreis, worin man bescheiden das Leben genießt, wie einen Hund, ausgesperrt zu sehen, denn das war immer der Fall mit mir, von Jugend auf.
(T 3277)
Juni – Oktober 1845
Aufenthalt in Neapel. Hier begegnete er u. a. Theodor Mommsen (1817–1903, Literaturnobelpreis 1902), dem späteren Autor der Römischen Geschichte, mit dem es aber zu keinem näheren Kontakt kam, und Hermann Hettner (1821–1882), einem der bedeutendsten Kunst- und Literaturhistoriker des 19. Jahrhunderts. Dieser hat später Hebbels Biographen Emil Kuh berichtet,
daß Hebbel den Keim der Krankheit, an welcher er gestorben ist, sich in jenen Jahren geholt hat. Um mit seinem Gelde möglichst lange auszukommen, habe er in dem ohnehin ungesunden Neapel äußerst kärglich gelebt und die glühenden Sommermonate hindurch die Stickluft einer engen Straße und einer schwülen Wohnung eingeatmet. Seltsam berührte es Hettnern, daß Hebbel gerade in Neapel am liebsten mit der Ausgestaltung des düstern „Moloch“ sich beschäftigte. Auch war er Zeuge, wie ein aus Sizilien zurückkehrender deutscher Kaufmann im Café di Europa die Geschichte erzählte, welche nachmals das Motiv des Trauerspiels von Sizilien abgegeben hat [vgl. T 3491].
(Hebbels Persönlichkeit 1, S. 172f.)
Vgl. Hermann Hettner: Hebbel und die Tragikomödie [1851]. In: Ders.: Schriften zur Literatur. Berlin 1959, S. 337–339.
19. Juli 1845
Mit Hettner und dem Dänen Ussing besteigt Hebbel den Vesuv (der damals noch aktiv war).
Wir hatten ein vulkanisches Meer vor uns, zusammen geflossen aus den noch zu unterscheidenden einzelnen Strömen von Lava, wie sie im Lauf der Jahrhunderte aus dem geheimnißvollen Schooß des Bergs hervor gekrochen sind. In der Mitte, ziemlich steil, erhebt sich der kleinere Kegel mit dem gegenwärtigen Krater, aus dem, wie man es schon von unten bemerkt, in regelmäßigen Pausen nicht Flammen, sondern glühende Steine von zuweilen sehr beträchtlicher Größe herauf fahren; dabei vernimmt man ein Geräusch, das aus einem dumpfen Kollern und einem heulenden Gezisch zusammen gesetzt und zum Theil ein unterirdisches ist, und ein rother Lavastrom, einem kochenden Brei ähnlich, wälzt sich langsam vorwärts, dies Mal nicht breiter, wie ein mäßiger Fußsteig, bei einer Erruption aber die ganze Fläche, auf der wir standen, überdeckend und alles Lebendige vor sich her jagend. Wir näherten uns dem Kegel, so weit wir konnten und hielten an, als die Hitze zu groß wurde; an ein Besteigen und Besichtigen des Kraters war nicht zu denken (...). Ich konnte mich anfangs, so lange es noch Tag war, von der Gefährlichkeit des Unternehmens nicht überzeugen und bestand darauf, es auszuführen, aber ich fand nicht allein keinen Begleiter, sondern der mit uns gekommene Schutz-Soldat schien sich mir sogar wiedersetzen zu wollen, und als später die Nacht einbrach und ich die Größe der niederfallenden Steine und die Regellosigkeit, womit der Berg sie verstreute, deutlicher bemerken konnte, mußte ich allerdings einräumen, daß ich die Vernunft nicht auf meiner Seite gehabt hatte, denn es wäre an kein Ausweichen zu denken gewesen, und wenn ein dreizig- oder fünfzigpfündiger Stein und ein menschlicher Schädel zusammen stoßen, pflegt der Stein eine geringere Wunde davon zu tragen, als der Schädel. Goethe war oben, aber gewiß an einem ruhigeren Tage.
(...)
In Pompeji war ich schon früher. Es wird Euch überraschen, aber es verhält sich so, diese Stadt hat einen höchst geringen Eindruck auf mich hervorgebracht. Ich glaubte, sie befände sich noch immer unter einer Decke von Lava und Erde, man stiege eine Masse von Stufen hinunter und sähe sich nun bei Fackelschein in ihr um. Aber es verhält sich ganz anders, sie liegt ganz so da, wie jede andere Stadt und die moderne Sonne schaut prosaisch und platt hinein. (...) Stellt Euch Hamburg in Trümmern vor und Ihr habt Pompeji.
(An Elise, 22. Juli 1845, WAB 1, 711–713)
Einen größeren Eindruck als Pompeji machen zwei sizilianische Schwestern, Angiolina und Emilia, auf ihn, die er allabendlich auf ihrem Balkon beobachtet und auf die er das Gedicht Das Venerabile in der Nacht (W 6, 286f.) verfasst.
8. Oktober 1845
verläßt Hebbel Neapel:
Von Neapel bin ich, so lange ich auch da war, nicht ohne Schmerz geschieden. Wie trieb es mich hinüber nach Sicilien! Für 5 Speciesth[aler] war ich in Palermo und fast alle meine Bekannten machten die Tour! Aber zurück wieder 5, das sind schon 10, und dafür hat man in Deutschland einen Rock. Also blieb ich und freute mich dessen, was ich hatte. Sehr schöne Gedichte habe ich noch gemacht, Liebes-Gedichte, und vom Moloch den ersten Act. Am frühen Morgen, es war noch völlig dunkel und die Straßenlaternen brannten noch, verließ ich die schöne Stadt. Es regnete, als ob der Ocean neu zu füllen gewesen wäre! Lebe wohl, Neapel, lebe wohl, Villa reale, lebt wohl, ihr drei nachbarlichen Balcone, lebt wohl, Emilia und Angiolina, ihr süßen Kinder aus Messina, aus deren Munde ich die schönste Sprache der Welt jeden Morgen hören durfte! Alles ist vorbei, wie ein Schauspiel, wir ziehen die bunten Kleider wieder aus; wann werden wir zu Bett gehen? - -
(An Elise, 24. Oktober 1845, WAB 1, 732f.)
Vgl. Alexandra Tischel: „...ein Jeder, der hieher kommt, erst sehen lernen muß...“ Friedrich Hebbel in Italien. In: HJb 1999, 177–196.
Am 11. Oktober trifft Hebbel wieder in Rom ein, am
29. Oktober 1845
verläßt er Rom in Richtung Deutschland, ohne eine Vorstellung davon, wie es mit ihm weitergehen soll. Finanziell ist er am Ende, habe Nichts mehr als einen alten, abgeschabten Frack, nicht einmal für die Reise einen Ober-Rock (WAB 1, 732), für die Reise selbst hat er einen Kredit bei Gurlitt aufnehmen müssen (von dem auch der Frack stammt), dem er nun (zusammen mit einem früheren Darlehen) 300 Taler schuldet (er wird sie erst im März 1848 und August 1850 zurückzahlen können). Campe, dem er von Neapel aus mehrmals geschrieben hat, läßt nichts von sich hören; nein, das hätte ich nie gedacht, daß ich noch in meinem 32sten Jahre nicht so weit seyn würde, wie der lausigste Handlungs-Diener! (WAB 1, 739). Die Beziehung zu Elise hat sich in der (oder durch die) Entfernung gelockert, schon am Jahresende 1844 hatte es im Tagebuch geheißen:
Kann ich, muß ich heirathen? Kann ich, muß ich einen Schritt thun, der mich auf jeden Fall unglücklich und Dich! nicht glücklich machen wird? (...) Elise ist das beste Weib der Erde, das edelste Herz, die reinste Seele, aber sie liebt, was sie nicht wieder lieben kann, die Liebe will besitzen, und wer nicht liebt, kann sich nicht hingeben, sondern sich höchstens opfern.
(T 3277)
In den Briefen an Elise wird der Tonfall zunehmend gereizter, so heißt es in der ersten Nachricht aus Wien:
Nach Hamburg kann ich aber doch wohl kaum kommen, denn die Zahl der mir Uebelwollenden ist in dieser Stadt doch zu groß. Oder meinst Du? Bedenke bei der Antwort auf diese Frage aber nicht Dich allein, sondern auch mich, Du bist seit lange nicht mehr gewohnt, es zu thun.
(9. November 1845, WAB 1, 739)